gendern

Sprache ändert sich, falls die Gemeinschaft der Sprechenden es so will - gegebenenfalls auch in Abweichung von den bisher gültigen Regeln der Grammatik und der Syntax. Viele Bedenken, die aus einer sprachbehüterischen Ecke gegen das Gendern  angeführt werden, halte ich zwar für fachlich durchaus zutreffend, aber letztlich für irrelevant.
          Meine Einwände gegen das Gendern entstammen der Befürchtung, dass es der Geschlechtergerechtigkeit (einem mir wichtigen Anliegen) einen Bärendienst erweist. Die Grundannahme aller genderpolitischen Fortschritte ist die Unterscheidung zwischen biologischem Geschlecht und sozialer Rolle – Simone de Beauvoir brachte das auf die knappe Formel: man wird nicht als Frau geboren, sondern zur Frau gemacht. Daraus folgt meines Erachtens: Der pädagogische Auftrag der Genderpolitik muss darin liegen, über gesellschaftlich konditionierte Rollen aufzuklären, vor allem darüber, dass sie durch das biologische Geschlecht nicht vorbestimmt sind.
          Die Befürworter einer "gendergerechten Sprache" scheinen eine andere Priorität zu haben. Mit der "Sexualisierung" der Sprache verfestigen sie (in einem heute als rückständig geltenden, nämlich binären Sinn!) die Vorstellung, dass bei der Wahrnehmung und Interpretation der Wirklichkeit die m/w-Einordnung oberste Priorität genießen sollte (auch in Zusammenhängen, wo das biologische Geschlecht sekundär ist). Das lenkt ab vom eigentlichen Ziel, nämlich der "geschlechtsoffenen" Definition und Diskussion von Rollen. Statt eine konzeptionell nicht zuende gedachte Sprachreform durchzudrücken, sollten sich unsere Behörden, Schulen und Universitäten darum bemühen, über die geschlechtliche Offenheit der allermeisten Rollen und über die Irrelevanz vermeintlich geschlechtlich determinierter Wortendungen aufzuklären. Gesellschaftlich wäre das meines Erachtens wesentlich hilfreicher als das Bemühen, mit guten Absichten, aber der falschen Methode Sprechweisen zu verändern und dadurch einen Bewusstseinswandel herbeizuführen – der Kausalzusammenhang ist doch wohl eher andersherum.
          In diesem Sinne vermeide ich in meinen Schriften überholte Vokabeln ("Putzfrau", "Feuerwehrmann", "Krankenschwester") und bevorzuge neutrale Begriffe, soweit sie nicht sinnentstellend sind ("Anwesende", aber nicht "Studierende"). Ich scheue mich aber auch nicht, den zu Unrecht verschmähten generischen Maskulin zu verwenden, wenn er niemanden explizit ausschließt. "Bürger" (m) sind nach meinem Sprachgefühl Personen jeglichen Geschlechts, ebenso wie "Führungskräfte" (w) und "Genies" (n). Zudem macht es einen Unterschied, ob ein Wort bestimmt oder unbestimmt verwendet wird. ("Ich brauche einen Arzt" heißt: irgendeinen Arzt; "Ich brauche den Arzt" kann heißen: ich brauche den Arzt, aber nicht die Ärztin.)
          Und dennoch: Sprache ist immer im Fluss. Seien wir also ergebnisoffen.  Befürworter und Gegner des Genderns sollten sich nicht als Kulturkämpfer gerieren (und mit dem Gendern keine Wahlkampfpolemik betreiben), sondern gemeinsam beobachten, wie die Sprache sich – ohne Zwang, ohne Vorurteile und ohne trotzige Veränderungs-Muffelei – entwickelt.