Diplomatie
Aus: Christian Much, Die Pupille des Drachen - Vom Mehrwert diplomatischer Verhandlungen, in: Mehrwert Diplomatie, Hrsg.: Otto Lampe, Otto Meißners Verlag Hamburg 2023, ISBN: 978-3-8280-3765-6
Verhandeln ist ein diplomatisches Kerngeschäft. An diplomatische Verhandlungslösungen knüpften sich schon immer viele Erwartungen: einstmals die Hoffnung, auf dem Verhandlungswege den Kopf möglichst heil aus den Schlingen einer gewaltsamen und chaotischen Welt zu ziehen, heute der ambitionierte Vorsatz, durch multilaterale Verhandlungen unsere Erde zu einer friedlicheren, gerechteren und überlebensfähigeren zu machen.
Wo es Hoffnungen gibt, da gibt es auch Scheitern. Das öffentliche Urteil kommt dann oft erstaunlich schnell zum Befund, die Diplomatie habe mal wieder versagt. Es sei nicht hart genug (oder zu hart) verhandelt worden, es habe am rechten Verhandlungswillen gefehlt, und so weiter.
Im Kontext des Krieges zwischen Russland und der Ukraine gab es wiederholt Aufrufe zum Ende der Gewalt, zur Aufnahme von Verhandlungen, zum Vorrang der Diplomatie. Die internationale Gemeinschaft müsse "Bedingungen schaffen, unter denen Verhandlungen überhaupt möglich sind." Was für Bedingungen das sind und wie man sie schafft, blieb offen. Ich ... stelle fest, dass die Hoffnung, die auf Diplomatie gesetzt wird, anscheinend sehr groß ist – jedenfalls größer als das Wissen um die Voraussetzungen von Verhandlungen.
Für den Erfolg von Verhandlungen hat persönliche Integrität, also die Fähigkeit des Diplomaten, durch Verlässlichkeit und Wahrhaftigkeit Vertrauen aufzubauen, eine kaum zu überschätzende Bedeutung. Diplomatische Verhandlungen sind – allen landläufigen Vorurteilen zum trotz – kein Wettbewerb zur Ermittlung der maximalen Verschlagenheit. Das Ergebnis derartiger Verhandlungen wäre nur von kurzer Dauer. Verhandlungen sind auch kein Millionen-Quiz, in dem die größte Intelligenzbestie am weitesten kommt. Während meiner ersten Jahre im Auswärtigen Amt referierte ich als ehemaliger Ethnologiestudent vor Attachékursen über interkulturelle Kommunikation. Eine der Kernbotschaften war: In anderen Kommunikationskulturen ist der Überbringer der Mitteilung mindestens ebenso wichtig wie die Mitteilung. Fachlich überragende Verhandler können scheitern, wenn sie sich wie allwissende, aber gefühlskalte Apparate gebärden und nicht wie Menschen, die mit Empathie, Wissenslücken und einem entsprechend großen Interesse für die Ansicht anderer ausgestattet sind.
Verhandlungen bedienen sich weitaus erfolgreicher als die Gewalt einer der größten menschlichen Ressourcen: des Erfindungsgeistes - der Fähigkeit, zum Wohle der Menschen aus Versatzstücken etwas Besseres zusammenzufügen. Kanonen können das nicht.